„Also Jonas behalten wir jetzt, der gehört zur Familie.“


Seit 7 Jahren ist Sophia eine verlässliche Patin für Jonas*. Im Interview erzählt sie von innigen Momenten, von Stolpersteinen und von Jonas` festem Platz in ihrer Familie.
* Namen von der Redaktion geändert


Sophia, wie kamst du zu PiA?
Mein jüngstes Kind war irgendwann in der Schule und da habe ich gemerkt, dass ich ein bisschen Kapazitäten habe. Ich hatte das Gefühl, mit den Kindern ist es gut gelaufen und ich glaube, ich habe verstanden, was sie so brauchen. Und ich hatte immer auch einen sozialen Blick auf die Welt. Da dachte ich zuerst an ein Pflegekind, aber das war eine Nummer zu groß und so bin ich bei PiA gelandet.

Und wann war das?
Ich glaube 2011. Jonas war grad zwei geworden und ist jetzt neun. Jetzt wird er vorpubertär.

Jetzt verändert sich alles ein bisschen, oder?
Ja doch – es verändert sich schon. Aber das ist mir ja nicht fremd. Er ist nicht mehr ganz Kind und so dicht bei mir, sondern seine Welt verändert sich auch.
Es kommen jetzt natürlich auch Konflikte, die ploppen aufgrund der schwierigen Verhältnisse massiver und zum Teil langwieriger auf – hab ich so das Gefühl. Auch in der Auseinandersetzung mit mir.

Zum Beispiel?
Zu probieren: Wie eklig kann ich sein? Hat die mich dann immer noch gern? Und da setzt der manchmal ganz schöne Kraft rein. Aber das macht mich jetzt nicht fertig. – lacht –

Wie oft siehst du Jonas?
Dagmar Linke (Koordinatorin): Für Kind und Pat*in ist es wichtig, sich in regelmäßigen Treffen erstmal kennenzulernen. Aber Sophia hat ja ihre Dienste und deshalb musste sie dann sagen: Wenn ich da bin, dann treffe ich ihn. Dann kommt er mal zu mir, dann schläft er auch bei mir und wird mit in die Familie reingenommen. Also anders als geplant, aber das ist okay. Das Kind hat ja etwas davon.

Mittlerweile einmal die Woche – das versuche ich schon immer. Und das Übernachten hat den Vorteil, dass man dieses abends im Bett sitzen hat, das über den Tag reden und vorlesen. Diese schönen, innigen Momente, wenn man so zur Ruhe kommt …

Wie ist dein Kontakt zu der Mutter, Sophia?
Eigentlich gut, ich mag sie wirklich gerne. Sie hat eine sehr schwierige Beziehung zu ihrer eigenen Mutter und ein Stück weit bin ich für Sie auch Mutter-Ersatz, weil ich stabil und da bin. Ich sage ihr auch mal wenn ich etwas kritisch finde – z.B. ihren Umgang mit Medien. Und ich bin für Sie eine zuverlässige Person in ihrem Leben geworden, auch wenn mal irgendwie Not ist. Ich meine, sie ist ja nicht so eine „laissez-faire“ Mutter, sie ist eigentlich eher einen Ticken zu streng und sagt so: Das wird jetzt gemacht!

Auf der anderen Seite: Sie bringt Jonas pünktlich, er hat seine Schulsachen, die Mappe ist in Ordnung, er kriegt etwas zum Essen mit. Man kann sich über den Inhalt der Schuldose dann noch streiten. Vieles macht sie wirklich gut und das sage ich ihr auch. Darüber freut sie sich dann.

Woran hapert es denn beispielsweise bei den Familien
Also ich finde es hapert oft an der Kapazität, dem Kind eine gewisse Zuneigung und Aufmerksamkeit zu schenken. Sara liebt ihr Kind, aber es fällt ihr schwer zu schauen: Was braucht mein Kind in dem Alter? Ich glaube nicht, dass sie sich auch nur zeitweise hinsetzt und dem Kind ein Buch vorliest oder gemeinsam Bausteine stapelt.

Weil sie es selber nicht erfahren hat?
Ja, da kommt Verschiedenes zusammen. Sie kennt selber kaum stabile Beziehungen, ihre Mutter hat sie sehr früh und sehr lange in Afrika bei der Familie geparkt. Zum einen das und zum anderen war sie sehr jung als sie ihr erstes Kind gekriegt hat. Sie möchte natürlich auch immer Andere treffen, möchte chic sein, möchte die Haare schön haben und die Nägel und so. Es fällt ihr wirklich oft schwer, ihre eigenen Bedürfnisse mal hinten anzustellen. Es gab auch gewalttätige Auseinandersetzungen mit ihren Partnern oder wie sie es nennt „temperamentvolles Streiten“.

Welche Auswirkungen beobachtest du bei Jonas?
Also ein gutes Gefühl für Nähe und Distanz ist ja bei Kindern, die nicht so stabile Beziehungen haben, oft nicht so ausgeprägt. Jonas z.B. war viele Jahre relativ distanzlos. Der hat mit jedem gequatscht. Das ist irgendwie auch ganz schön und das macht ihm das Leben oft leichter, weil er so offen ist. Aber ich hatte auch schon blöde Situationen mit ihm. Da musste ich zu Jonas sagen: Das geht nicht! Du kennst diesen Menschen nicht und du siehst jemandem nicht an, ob er gut oder böse ist.

Was hat sich bei Jonas` Mutter im Laufe der Patenschaft geändert?
Gestern habe ich ein bisschen länger mit ihr gesprochen. Sie wollte mit mir reden, weil Jonas Probleme in der Schule hat. Nicht weil er nicht schlau genug ist – das ist er wirklich. Sondern weil er halt so viel rumkaspert und unaufmerksam ist, also im Benehmen nicht das bedient, was erwünscht ist. Und da sagte sie, sie hätte ganz viel mit ihm geredet, ihn auch gefragt warum. Er hätte erwähnt, dass er seinen Zieh-Papa so vermisst. Da habe ich wieder gemerkt: Sie hat diesen Anspruch – sie will eine gute Beziehung zu ihrem Kind haben und irgendwann aus der Mutterrolle wachsen und zu einer vertrauten Person werden, an die er sich wendet. Das ist super.

Dagmar: Ich glaube, das will sie wirklich und dass sie sich ganz stark wünscht, eine andere Beziehung zu ihren Kindern zu haben als ihre Mutter zu ihr. Und sie hat eigentlich einen hohen Bildungsanspruch.

Ja, sie achtet auch immer drauf, dass er Hausaufgaben macht und sie macht ihre Häkchen ins Heft und so. Den Anspruch hat sie schon. Ihr ist aber nicht unbedingt klar, welchen Anteil sie eigentlich daran hätte. Also dass sie sich mal hinsetzt und Bücher liest, ihm Interesse vermittelt und ihn nicht vor der Glotze parkt, ihm Fragen beantworten kann.

Kannst du dich noch dran erinnern, was am Anfang die Stolpersteine waren in der Patenschaft?
Also ich weiß, dass ich damals sehr „beeindruckt“ war, als ich das erste Mal in ihre Wohnung gekommen bin. Da habe ich wirklich gedacht: Boah, das ist schon arm. Was heißt arm? … da ist alles – ein Bett, ein Stuhl und so. Aber das, was so eine Wohnung kuschelig oder schön macht … ein paar Pflanzen, Bilder… Auch beim Kinderzimmer, da habe ich schon gedacht: Oh man, das ist ja schon trist … also das hat mich richtig betroffen.

Und was ich auch schwierig fand, waren so Situationen am Anfang … dann gewöhnt man sich ja an alles … Da hatte sie mich mal am Neujahrsmorgen um 8 Uhr angerufen. Ich weiß nicht mehr, welcher Mann das war, aber der hatte ihr die ganze Sozialhilfe weggenommen. Da hatte sie nichts mehr. Ich glaube auch die Kamera, die wir ihr geschenkt hatten, war weg. Was sag ich denn da? Und ich habe dann zum Glück gesagt: Sara, du kannst gerne zu mir kommen mit deinem Kind und bei mir essen. Geld werde ich dir nicht geben und du musst jetzt zum Sozialamt gehen. Und du musst eine Anzeige machen, denn dann kriegst du das Geld nochmal. Ich glaube man kann sich ganz gut abgrenzen, indem man sagt: Wenn du was von mir brauchst, dann komm zu mir.

Aber so diese andere Welt kennenzulernen … und dann das Kind darin zu sehen und das auszuhalten …

Dagmar: Aber ich glaube, dass Sophia da zum Beispiel wichtige Fähigkeiten und Erfahrungen schon mitgebracht hat, auch im Abgrenzen. Also sagen zu können: Das mach ich, das nicht – so eine Klarheit. Eben so etwas wie: Du kannst hier essen, aber Geld gebe ich dir nicht. Das finde ich total klasse und damit haben viele Paten zunächst Probleme.

Gewalt in der Familie und gegen die Kinder ist auch so ein Thema, in das man in den ersten Jahren erst reinwächst. Was habe ich für eine Haltung dazu, wie gehe ich damit um? Ich war irgendwann auch mal bei PiA bzw. bei Dagmar und habe gesagt: Irgendwie müssen wir jetzt hier einschreiten, das geht so nicht. Da haben wir einen guten Weg gefunden (Anm.: als Nachbarin die wahrgenommene Gewalt gemeldet, damit die Schläge auch vom Amt untersagt werden und Sara die Rechtslage kennt, sich aber nicht von Sophia verpfiffen fühlt und das Kind entzieht). Und irgendwann später hat Jonas mir gesagt: Weißt du, früher hat meine Mama mich manchmal gehauen aber jetzt schon lange nicht mehr. Und jetzt redet sie immer mit mir.

Welche Bedeutung hat eurer Meinung nach eine Patenschaft für ein Kind?

Dagmar: Es geht darum, dass die Kinder einen anderen Blick auf das Leben bekommen. Dass sie merken, man kann unterschiedlich leben. Und dass sie irgendwann später vielleicht die Möglichkeit haben, zu entscheiden: Wie will ich es denn eigentlich machen? Wir sagen den Paten auch, dass sie nicht die großen Sachen machen brauchen oder Events aufsuchen

Ich mache ja ganz viele ganz normale Sachen mit Jonas. Mit dem Hund spazieren gehen oder lesen. Natürlich gehe ich auch mal mit ihm schwimmen oder ins Kindertheater. Aber viel, finde ich, ist einfach so dieses normale miteinander sein.

Dagmar: Ja, Bezugspersonen außerhalb der Familie. Ich glaube es ist für die Kinder auch einfach wichtig, dass sie wissen, da ist noch jemand anderes. Und backen kannst du dir ein Kind ja sowieso nie, dein eigenes auch nicht. Du kannst auch nicht sagen: Der oder die muss den und den Weg gehen. Da werden sich dann alle selber entscheiden. Und ich glaube es ist manchmal eine Herausforderung für Paten, das dann auch mitzutragen und nicht enttäuscht zu sein. Also mitzukriegen: Jetzt habe ich viel investiert, aber am einen oder anderen hapert es trotzdem mal. Das Kind ist vielleicht doch nicht so gut in der Schule, wie ich dachte …

Sophia, gibt es etwas, das du dir wünschst für Jonas?
Ach, ich würde mir ja wünschen, dass er die Fähigkeiten die er hat, so nutzen kann, dass sie seinem Leben dienlich sind. Er ist ja sehr intelligent und auch sehr reflektiert – er hat geistig wirklich gute Fähigkeiten. Also dass er mit seiner Pfiffigkeit etwas Gutes macht. Aber da müssen wir mal abwarten, mir ist bewusst dass es anders kommen kann.

Man sollte sich wohl immer wieder fragen: Gebe ich, weil ich etwas zurück haben will oder weil ich ein Ziel habe oder um des Gebens willen?

Erziehung, wie Rudolf Steiner sagt, ist auch immer Selbsterziehung. Ich sollte mich immer wieder fragen: Warum handle ich, wie ich handle? Natürlich nicht bei allem, aber zwischendurch muss man sich immer wieder überlegen: Warum mache ich bestimmte Dinge, warum beiße ich mich an irgendwas fest, warum rege ich mich über irgendwas auf?

Das ist wohl in allen Beziehungen so. Wir leben ja immer mit unserem Ego, da kann man immer mal gucken, ob man das jetzt ein bisschen zur Seite schiebt.

Jonas gehört einfach so richtig zur Familie. Das mit ihm ist nichts mit einem begrenzten Rahmen oder nach 10 Jahren Patenschaft ist der Drops gelutscht. So wird das nicht sein.